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Wann und für wen funktionieren heute multifokale Linsen?

Geschrieben von Corinna Jonske | 03.04.20 13:46

Multifokale Kontaktlinsen liegen im Trend. Die Babyboomer der 60er Jahre sind heute alle in das presbyope Alter gekommen und dabei jung geblieben! Niemand möchte sich plötzlich alt fühlen, eine Lesebrille tragen und sich damit abfinden, dass das Sehen in der Nähe ohne Hilfsmittel nicht mehr geht.

Somit steigt die Nachfrage nach multifokalen Kontaktlinsen - häufig auch von Menschen, die zuvor noch gar keine Kontaktlinsenerfahrung gesammelt haben.

Doch für wen sind die heutigen multifokalen Kontaktlnsen geeignet? Was können Sie und was vielleicht auch nicht? Diesen Fragen möchten wir aus unserer Sicht in diesem MWnews-Beitrag auf den Grund gehen.

Multifokale Kontaktlinsen gibt es in allen denkbaren Kontaktlinsentypen: Von der standardisierten Tageskontaktlinse über die weiche individuelle Jahreslinse bis hin zur höchstindividuellen formstabilen Variante. Ob und wie sie funktionieren darauf geben Ihnen sicher Ihre Patienten die Antwort. Sie werden zu jedem KL-Typen jemanden finden, der davon begeistert ist, und zu jedem auch sicherlich jemanden, der total enttäuscht die Versorgung abgebrochen hat und eben nicht zufriedengestellt werden konnte.

Damit wird der Schlüssel zur Anpassung multifokaler Kontaktlinsen bereits klar: Es ist der Mensch!

Rein technisch bieten alle multifokalen Kontaktlinsen einen ähnlichen Aufbau. Es gibt die ringförmig aufgebauten simultan abbildenden Kontaktlinsen (am häufigsten im Weichlinsenbereich) und die alternierenden Varianten (ausschließlich bei den formstabilen Kontaktlinsen). Alle haben festgelegte Zonen für die Abbildung aus der Ferne und aus der Nähe und einen eher kleinen Übergangsbereich für die Zwischenentfernung. Manchmal können Sie noch wählen, ob die Ferne oder die Nähe im Zentrum der Linse liegen soll und wie groß die zentralen Zonen gewählt sein sollen (siehe Abbildungen 1 und 2).In der Theorie schaut der Linsenträger dann durch das optische Zentrum der Linse und erhält mindestens 2 Abbildungen, eine aus der Fernzone und eine weitere aus der Nahzone. Beide Abbildungen landen auf der Netzhaut und werden von dort ans Gehirn weitergegeben. Je nachdem in welche Entfernung der Träger schaut, liefert eine der beiden Zonen ein scharfes Bild und eine ein unscharfes. Das Gehirn soll nun die Leistung erbringen, das scharfe Bild zu verwenden und das unscharfe zu unterdrücken.

Auch bei den alternierenden Systemen funktioniert dieses Prinzip ähnlich. Allerdings sind die Bereiche für Ferne und Nähe hier deutlich größer, da die Bewegung der Linse auf dem Auge die richtige Auswahl des Durchblicksbereichs unterstützt und das unscharfe Bild viel kleiner ist (siehe Abbildung 3 und 4). Aber generell stimmt diese einfache Erklärung für beide Systeme.

Warum aber ist dann ein Patient mit multifokalen Linsen sehr zufrieden und ein anderer sehr enttäuscht? Sind die qualitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Herstellern so groß?

Unsere Erfahrung sagt eher nein! Natürlich hat jeder Hersteller sein eigenes Rezept für multifokale Linsen, aber richtig schlecht funktionierende Linsen sind vom Markt auch immer sehr schnell wieder verschwunden. Der Schlüssel liegt wie schon erwähnt im Menschen selbst:

Wir bei MÜLLER WELT haben die Erfahrung gemacht, dass bereits das erste Anamnesegespräch mit dem potentiellen Linsenträger schon sehr viel Aufschluss darüber gibt, ob und wie erfolgreich das Tragen multifokaler Linsen funktionieren wird. Die Schlüsselinformationen sind die Sehanforderungen, die der potentielle Träger an die Linsen hat und die persönliche Einstellung zum Thema Sehen. Ein Beispiel:

Der Architekt, der schon immer einen Visus von 1,6 gewohnt war, noch nie eine Korrektion benötigte und oft bei schlechtem Licht extrem kleine Schriften lesen möchte, nebenbei noch Tennis spielt und auf gar keinen Fall eine zusätzliche Brille bei der Arbeit oder im Auto verwenden will ist viel schwerer zufriedenzustellen als  die myope Patientin, die schon immer ohne Korrektur schlecht gesehen hat, gerne bei der Arbeit am PC und im Büro auf eine Lesebrille verzichten möchte, es aber unproblematisch findet abends auf der Couch beim Bücherlesen noch eine Lesebrille zusätzlich zu verwenden.

Der Anspruch des Einzelnen trägt somit extrem viel zu Erfolg oder Misserfolg der Anpassung bei. Im Einzelfall kann es dann sogar besser und kompetenter sein, dem ersten Beispiel-Patienten klipp und klar zu sagen, dass eine multifokale Kontaktlinse seinen Ansprüchen sicher nicht in allen Bereichen genügen wird. Falsche Versprechungen an dieser Stelle sind in jedem Fall kontraproduktiv! Wenn er sich dennoch für einen Versuch entscheidet, dann muss ihm vorher klar sein, was auf ihn zukommt:

Wir bei MÜLLER WELT haben die besten Erfahrungen damit gemacht, den Kunden VOR Beginn der Anpassung über die Grenzen und Möglichkeiten aufzuklären, ihm deutlich zu machen, dass folgende „Umstände“ vermutlich die Eingewöhnungsphase begleiten werden:

mehrere Termine bis die Anpassung erfolgreich abgeschlossen ist, es gibt kein „Plug&Play“

Nachteile beim Kontrastsehen, die später verschwinden können

Mehr oder weniger störende Halos bei Nacht, die ebenfalls mit zunehmender Tragedauer weniger wahrgenommen werden

80-90% Zufriedenheit bei Alltags-Sehanforderungen (Autofahren geht, PC-Arbeit geht, Naharbeit bei ordentlicher Beleuchtung in normaler Schriftgröße geht)

Oft Zusatzbedarf für einzelne Situationen (evtl. Lesebrille für langes Lesen, bei schlechter Beleuchtung, sehr kleine Schriften, oder zusätzliche Fernbrille für die Autofahrt bei Nacht um die große Pupille zu kompensieren etc.)

Bedingungen, die viele in dieser Altersgruppe übrigens auch schon von ihrer ersten Gleitsichtbrille kennen.

Wenn diese „Umstände“ sich mit den Erwartungen des Patienten decken, dann wird die Anpassung in den meisten Fällen sehr erfolgreich sein. Das richtige System für den individuellen Menschen und seine Sehaufgaben zu finden, ergibt sich dann aus den Vorerfahrungen des Patienten mit Kontaktlinsen, dem Sitz-und Bewegungsverhalten der Kontaktlinse auf dem Auge und den Tragevorstellungen, die der einzelne hat.

Sollte es dennoch zu Unverträglichkeiten kommen, dann bleibt uns als Anpasser aber immer noch die Möglichkeit der Monovision, der Fernlinsen+ Lesebrille oder einer Raumkorrektur, die zum Beispiel nur zur Arbeit getragen wird. Viele Möglichkeiten auch neben den multifokalen Kontaktlinsen eine für den Träger vorteilhafte Sehsituation herzustellen.

Und noch ein Aspekt zum Schluss (analog zum Bsp. des emmetopen Architekts): Wenn ein Nicht-Kontaktlinsenträger presbyop wird, ist es meist empfehlenswert auch die Presbyopie mit der Brille zu korrigieren. Werden in dem Fall Kontaktlinsen gewünscht, dann sollte die Gewöhnung an Kontaktlinsen von der Gewöhnung an Multifokal getrennt werden. Das ist Praxiserfahrung und widerspricht der Theorie der KL-Industrie!

In den nächsten MWnews beschäftigen wir uns mit dem aktuellen Thema des Myopie-Management. Wir stellen eine Versorgung aus unserem Institut vor, die zeigt, wie Myopie-Management mit Hilfe der Orthokeratologie wirkt.